Sport und Politik

Relevanz von Bewegungsangeboten und -räumen für junge Menschen 

Letzte Woche fand die Bund-Länder-Konferenz zur Abstimmung der Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie statt. Mit Blick auf Bewegungsmöglichkeiten für Kinder- und Jugendliche: Was haben Sie aus den Ergebnissen mitgenommen?

Pilz: Da war, wenn ich das richtig sehe, wenig bis gar nichts Erfreuliches zu erkennen. Der Sport nicht mit einer Silbe erwähnt. Dies obwohl Sportangebote durchaus als „systemrelevant“ angesehen werden müssten, wenn wir uns die Bedeutung von regelmäßigem Sporttreibeng für die soziale, psychische und physische Gesundheit der jungen Menschen, aber auch der Erwachsenen, vor Augen halten.

Lübking: Der sogenannte „Wellenbrecher-Lockdown“ hat zwar das exponentielle Wachstum der Infektionszahlen gebrochen, diese sind aber weiterhin auf zu hohem Niveau. Allein mit Blick auf die Kapazitätsgrenzen der Intensivbetten ist es notwendig, dass die Beschränkungen weiter aufrechterhalten und zum Teil verschärft werden. Wichtig ist, dass weiterhin auf der lokalen/regionalen Ebene auf die Entwicklung reagiert werden kann. Dies gilt sowohl für eine Lockerung bei einem geringen Infektionsgeschehen als auch bei einer Verschärfung der Maßnahmen bei einem Hotspot. Interessant ist, dass es in dem Beschluss ausdrücklich Hinweise auf Öffnungen für den Kulturbereich gibt, allerdings nicht für den Sport. Die negativen gesundheitlichen und psychischen Folgen von fehlender täglicher Bewegung gerade bei Kindern und Jugendlichen sind bekannt. Von daher sollten Bund und Länder ihren Blick auch auf die Sport- und Bewegungsangebote legen, da insbesondere Kinder und Jugendliche unter den Einschränkungen leiden. Die Deutsche Sportjugend hat hierzu einen Vier-Stufen-Plan für den Kinder- und Jugendsport während der Corona Pandemie vorgelegt.

Wenn Sie an Ihre eigenes Wohnumfeld denken: Was beobachten Sie derzeit in Bezug auf Bewegungsmöglichkeiten von Kindern- und Jugendlichen?

Lübking: Ich wohne in einem Bezirk von Berlin mit vielen Parks und Grünflächen. Hier sind ausreichend Bewegungsmöglichkeiten vorhanden. Es finden z.B. Lauftreffs für alle Altersgruppen statt oder Kinder und Jugendliche treffen sich z.B. zum Slackline oder anderen Parksportarten. Die Frage ist allerdings, ob diese auch genutzt werden. 

Entscheidend ist hier das Umfeld der Kinder. So kommt in vielen Familien körperliche Aktivität zu kurz. Nach Erhebungen der AOK spielt in jeder dritten Familie spielt Bewegung in der Freizeit überhaupt keine Rolle. Kinder aus sozial benachteiligten Familien haben häufig weniger Anreize, sich in der Freizeit zu bewegen und Sport zu treiben. Sie verbringen lieber ihre Zeit vor dem Fernseher, dem Computer oder mit dem Handy. 

Pilz: Ich dagegen wohne in einer beschaulichen Gemeinde mit vielen Einfamilienhäusern und zum Teil großen ländlichen Gärten, wo die Kinder noch viele Spiel- und Bewegungsräume im Freien haben. Aber der so wichtige organisierte und angeleitete Sport in den Vereinen ist zum Erliegen gekommen und damit auch die Bewegungs- und Sportmöglichkeiten und die wichtigen sozialen Kontakte der jungen Menschen.

Wo liegt der Unterschied zu der Zeit vor der Corona-Pandemie?

Pilz: Ganz eindeutig in den fehlenden Sportangeboten der Vereine, geschlossenen Hallen und Sportstätten. Auf der anderen Seite sind die digitalen Sportangebote ein Lichtblick und vielleicht auch eine Chance auch nach der Corona-Pandemie junge Menschen wieder stärker an den Sport und die Sportvereine heranzuführen.

Lübking: Ja, der Vereinssport liegt brach. Ich kann das gut an einem Verein in unserer Nähe beobachten. Der Verein betreibt eine sehr aktive Kinder- und Jugendarbeit. Fast jedes Wochenende fanden Fußballturniere und in den Ferien Trainingscamps statt. Dies alles fällt jetzt aus. Damit fehlen die Anreize für die Kinder und Jugendlichen, nicht nur in Bezug auf den Sport, sondern auch der sozialen Kontakte untereinander. Sportvereine sind mehr als Orte der Bewegung und des Wettkampfs, sie nehmen daneben wichtige gesellschaftspolitische Funktionen wahr, von der Inklusion über die Integration bis zur Werteorientierung und der Teilhabe. 

Neben den gesundheitlichen Aspekten: Weshalb braucht es Bewegungsräume für junge Menschen in Städten und Gemeinden, unabhängig von der jetzigen Pandemie-Situation?

Pilz: Sport-, Spiel- und Bewegung sind wichtige Faktoren für die Persönlichkeitsentwicklung.

Gerade hier können die für eine gut funktionierende Demokratie, ein harmonisches Zusammenleben in einer heterogegen, vielfältigen Gesellschaft, so wichtigen ethischen und sozialen Werte erfahren und erlernt werden. Ja mehr noch, gerade die im Sport angelegten sozialen Werte und die Möglichkeiten, Bewegungs-, Spiel- und Sportbedürfnisse auszuleben, sind ein wichtiger Beitrag zur Gewalt- und Diskriminierungsprävention. Das können wir nicht ernst genug nehmen. Mir blutet noch immer das Herz, wenn ich vor großen Rasenflächen Hinweisschilder „Ball spielen“ oder gar „Betreten verboten“ lese, wenn Bewegungsräume oder Sportstätten auf Grund von Beschwerden der Anrainer durch Gerichtsbeschlüsse nur noch eingeschränkt nutzbar sind, oder gar Gerichtsverfahren eröffnet werden, weil „Kinderlärm Körperverletzung“ sei! 

Lübking: Sport ist eine wichtige Freizeitaktivität, insbesondere wirken sich Sport und Bewegung positiv auf das psychische Wohlbefinden aus. Bewegung wirkt z.B. der Antriebslosigkeit entgegen unter der gerade Kinder und Jugendliche während der Pandemie leiden. Es gibt Berichte, dass Kinder und Jugendliche aufgrund fehlender sozialer Kontakte lethargischer und aggressiver werden. Auch die Vereine brauchen Bewegungsräume, denn Sportvereine mit ihren vielen Mitgliedern sind wichtiger Bestandteil unserer Gesellschaft und Motoren für ein gutes soziales und aktives Miteinander vor Ort. Der Sport steht für Werte wie Fairness, Toleranz und Achtung unserer demokratischen Grundwerte und die engagierte Mitgestaltung des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Für Kinder und Jugendliche können die Sportvereine diese Werte vermitteln helfen. 

Wie können wir mehr Bewegungsräume für junge Menschen schaffen? Wen oder was braucht es dazu? 

Pilz: Es braucht vor allem Kreativität; das Blicken über den Tellerrand hinaus. Wir haben so viele brachliegende Flächen, Industriebrachen, die man mit ein bisschen Kreativität und Eigeninitiative zu einladenden Bewegungsräumen und Sportstätten nutzbar machen könnte. 

Lübking: Seit den Zeiten des so genannten „Goldenen Plans“ in den 1970er Jahren, der im Wesentlichen auf die Schaffung von leistungssportorientierten Wettkampfanlagen und die Förderung der Leistungskonkurrenz in den Vereinen orientiert war, hat sich das Sport- und Bewegungsverhalten erheblich verändert. Ein stetig wachsender Anteil von Sport- und Bewegungsaktivitäten findet individuell und außerhalb von Vereinsstrukturen statt.

Viele Menschen bevorzugen nicht organisationsgebundene Sportformen, z.B. Radfahren, Joggen, Fitness im Freien oder Schwimmen. Die Kommunen müssen darauf reagieren, z.B. dass Spiel- und Bewegungsräume in eine integrierte Stadtentwicklungsplanung einfließen. 

Die Städte und Gemeinden sollten aber auch die Sportvereine weiter unterstützen. Gemeinsam können sich Kommunen und Vereine für das Zusammenleben vor Ort, der Inklusion und Integration, Werteorientierung und Teilhabe sowie der Gesundheitsförderung und Prävention einsetzen. Dabei sollte ein besonderes Augenmerk auf die Förderung von Kindern sozial benachteiligter Familien sowie der Verzahnung mit anderen kommunalen Aufgabenfeldern lenken.

Kommt Ihnen ein gelungenes Beispiel für solche Angebote in den Sinn? Welches wäre das? 

Lübking: Zum einen gibt es gute Beispiele in der Zusammenarbeit der Kommunen mit dem organisierten Sport. Um dies noch weiter voranzutreiben hat der DStGB gerade mit dem Deutschen Karate Verband eine Kooperationsvereinbarung getroffen, der andere Sportverbände folgen können (Link unten). Zum anderen haben viele Städte und Gemeinden wohnortnahe Bewegungs- und Spielmöglichkeiten geschaffen. Dabei wird auch darauf geachtet, dass diese von allen Generationen genutzt werden können. 

Auch dem Inklusionsgedanken wird Rechnung getragen. Wichtig ist es, dass die Kommunen die künftigen Nutzer*innen, insbesondere Kinder und Jugendliche, bereits bei der Planung einbeziehen, denn nur dann sind diese Bewegungsräume attraktiv. Leider noch zu oft werden z.B. Bewegungsparks ohne diese Beteiligung geschaffen, die dann brach liegen.  

Pilz: Da fallen mir spontan drei schöne Beispiele ein. In Frankreich und England gibt es Kirchengemeinden, die unter der Woche ihre Kirche so herrichten, dass sie für Sportangebote, z.B. Basket- und Volleyballspielen genutzt werden können. In einem Kölner Hinterhof haben empathische Anwohner ein Schild aufgestellt mit folgendem Wortlaut. „Dieser Hof ist ein Kinderspielplatz. Sollten Sie trotzdem Ihren PKW unbefugt abstel¬len, erklären Sie sich damit einverstan¬den, daß er als Spielzeug benutzt wird.“ Und in Hannover haben Jugendliche einer Kirchengemeinde den Kirchturm innen zu einer Kletterwand umgestaltet und die Kosten hierfür durch Abseilspendenaktionen mit Spendenkörbchen während des Gottesdienstes gedeckt. Diese Beispiele zeigen: Es braucht keiner großen personellen oder finanziellen Anstrengungen, sondern einfach der Kreativität von Menschen, um den Bewegungsbedürfnissen von jungen Menschen zu ihrem Recht zu verhelfen.

Was wünschen Sie sich für die nächsten Monate in dieser Sache? 

Lübking: Zunächst würde ich mir wünschen, dass alle Menschen sich an die Verhaltensregeln halten, damit die Infektionszahlen zurück gehen und ein normales Leben möglich wird. Dann natürlich, dass die Politik von Bund und Ländern Sport und Bewegung im Blick behalten. Wir brauchen z.B. mehr Bewegung in den Schulen. Damit meine ich nicht nur den regulären Sportunterricht, der viel zu oft ausfällt oder fachfremd unterrichtet wird, sondern Bewegungsanreize in den Pausen aber auch während des Unterrichts durch Sport-AG Angebote am Nachmittag. Schulen sollten stärker die Zusammenarbeit mit den Sportvereinen suchen. Von den Städten und Gemeinden wünsche ich mir, dass zum einen trotz der finanziellen Probleme, die viele Kommunen in Folge der Corona-Krise haben werden, weiterhin in Sportstätten investieren und die Vereine vor Ort unterstützen, aber auch Freiräume als Spiel-, Bewegungs- und Erholungsräume erhalten bzw. schaffen. 

Pilz: Ich wünsche mir, dass die Sensibilität der Menschen für die mangelnden Bewegungs-, Spiel- und Sportmöglichkeiten unserer Kinder und Jugendlichen durch die Erfahrungen mit der Pandemie erhöht wird. Und dass hierdurch wieder mehr ins Bewusstsein gelangt, wie wichtig es gerade für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung jungen Menschen ist, Sport-, Spiel und Bewegungserfahrungen in ausreichendem Maße sammeln zu können. Dies sollte sich auch in einem nachhaltigen, zivilgesellschaftlichen, kommunalen und politischen Handeln niederschlagen. Die Erhöhung des Volumens des Förderprogramms „Sanierung kommunaler Einrichtungen in den Bereichen Sport, Jugend und Kultur“, von dem maßgeblich die Sportstätteninfrastruktur profitiert, auf nunmehr 600 Mio. € im Bundeshaushalt, ist ein mehr als Mut machendes Zeichen. Aber nicht nur die Politik und die Kommunen, wir alle sind gefordert in den Lebenswelten junger Menschen für ausreichend Spiel-, Sport- und Bewegungsmöglichkeiten zu sorgen. 

Dies kann nur gelingen, wenn wir aufhören immer auf die anderen zu zeigen, sondern gemeinsam, vernetzt uns diesen Herausforderungen zu stellen. Das Netzwerk Sport & Politik für Fairness, Respekt und Menschenwürde sieht darin eine wichtige Aufgabe für die kommenden Jahre.    

Vielen Dank für das Gespräch!

Weitere Informationen:

Foto: © Dusan Kostic - Fotolia.com

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