Halbzeit in der Stadt der Zukunft – 2. Netzwerktag des „Netzwerk Zukunftsstädte“ in Friedrichshafen

Zum interkommunalen Erfahrungsaustausch über bisherige und zukünftige Vorhaben in Friedrichshafen trafen sich im Juni 2010 rund 50 Kommunalvertreterinnen und -vertreter aus allen Teilen Deutschlands in Friedrichshafen. Gemeinsam mit Vertretern aus Wirtschaft und Wissenschaft diskutierten sie auf dem zweiten Netzwerktag des „Netzwerk Zukunftsstädte“ die unterschiedlichen Aspekte des Projekts im dortigen Graf-Zeppelin-Haus.

Roger Kehle, Präsident des Gemeindetages Baden-Württemberg.
Foto: Ralph Meißner

Das Projekt „T-City“ und das Netzwerk Zukunftsstädte

„Die T-City zeigt mit ihren vielseitigen Projektvorhaben innovative Wege auch aus der derzeitigen Finanz- und Wirtschaftskrise. Andere Städte und Gemeinden können von der hier gewonnenen Expertise nur profitieren“, betonte Roger Kehle, Geschäftsführender Präsident des Gemeindetages Baden- Württemberg, in seiner Willkommensrede. „Für alle Städte und Gemeinden gilt es, den Blick in die Zukunft zu richten. Trotz der schlechten Lage dürfen die Bereiche Entwicklung, Fortschritt und Technik nicht ausgeblendet, sondern müssen vielmehr gerade jetzt in den Fokus gerückt werden.“ Bereits im Jahr 2006 hatte der Telekom- Vorstand auf der Cebit die Idee einer langfristig angelegten Partnerschaft zwischen dem Konzern und einer deutschen Kommune vorgestellt. Zielsetzung sollte es sein, mittels neuartiger Informations- und Kommunikations- Technologien die Welt von morgen in einer Stadt erlebbar zu machen und die Lebensqualität vor Ort spürbar zu verbessern. Friedrichshafen setzte sich unter 52 Bewerbern durch und wurde im Jahr 2007 zur „T-City“ gekürt. Danach schlossen sich viele Teilnehmerstädte um die gewählte Stadt Friedrichshafen zum Netzwerk Zukunftsstädte zusammen, um in einem freien Verbund innovationsorientierter Kommunen und ihrer Verwaltungen weiterhin gemeinsam an der Lösung wichtiger Zukunftsfragen zu arbeiten. Seither ist in der Stadt am Bodensee viel passiert. 

Dr. Klaus Kinkel, ehemaliger Justiz- und Aussenminister und jetziger Vorsitzender Deutsche Telekom Stiftung auf dem 2. Netzwerktag in Friedrichshafen. Foto: Ralph Meißner

„In der T-City werden die Anforderungen von morgen bereits heute erfüllt“, sagte Dr. Klaus Kinkel, Vorsitzender der Deutschen Telekom Stiftung, in seinem Vortrag über Bildung, Forschung und Technologie als ‚Megathemen’ der Zukunft über das ambitionierte Projekt. Dieses Leuchtturmprojekt beschäftige sich heute schon mit den wichtigsten Aufgaben der Zukunft. Ohne Innovation gebe es kein weiteres Wachstum. Diese Zielsetzung gelte es auf ganz Deutschland zu übertragen, betonte der ehemalige Bundesaußen- und Justizminister. „Rund 44 Projekte konnten wir bisher in der T-City realisieren“, erklärt Stefan Söchtig, Geschäftsführer der Technischen Werke Friedrichshafen und T-City Projektleiter, für die dortige Stadtverwaltung. Weitere kämen stetig dazu.

Projektvielfalt in Friedrichshafen

Derzeit werden in sechs Projektteilbereichen Vorhaben für Verwaltung, Wissenschaft, Unternehmen und Bürger aller Altersgruppen realisiert. Bei Projektbeginn wurde zunächst ein flächendeckender Breitbandbandausbau in Friedrichshafen verwirklicht. Mittlerweile sind 98 Prozent aller Haushalte vor Ort mit den schnellen VDSL-Verbindungen versorgt. Mit dieser Voraussetzung konnte sich die Stadt für weitere Projekte wie etwa die Pilotierung der De-Mail bewerben, die in Kooperation mit dem Bundeswirtschaftsministerium durchgeführt wird. Mit dem Einsatz dieser neuartigen Mail soll Bürgerinnen und Bürgern, Unternehmen und Verwaltungen eine einfach zu nutzende Technologie zur Verfügung stehen, um im Internet sicher und rechtsverbindlich zu kommunizieren. Unternehmen können mit Hilfe der De-Mail etwa Vertragsangebote, Abnahmeerklärungen, Auftragsbestätigungen oder Kostenvoranschläge zügig und sicher versenden. Behörden wiederum können den Dienst für den Versand von Antragsverfahren oder Urkunden wie Geburtsbescheinigungen nutzen. Dadurch kommt es innerhalb dieser Prozesse zu wesentlichen Kosten- und Zeiteinsparungen. Die bisher verzeichnete Resonanz seitens der Akteure vor Ort sei bislang durchweg positiv, berichtete Projektleiter Söchtig. Auch der Einsatz von intelligenten Strom-Zählern, so genannte Smart-Meters, die den Stromverbrauch elektronisch erfassen und deren gesammelte Informationen zu jedem Zeitpunkt auch vom Computer oder mobilen Endgeräten abgerufen werden können, wird durch die Nutzung von Breitbandleitungen möglich. Der Verbraucher erhält dadurch die Möglichkeit, seinen Stromverbrauch spezifisch abzulesen und sein Nutzungsverhalten anzupassen. Dies kann bereits kurzfristig zu Kosteneinsparungen führen. Aktuell läuft in Friedrichshafen dazu ein Testversuch mit zahlreichen Kunden. Künftig sollen dort jedoch alle Strom- und Gaszähler an das Internet angeschlossen werden. Auch im Bereich Gesundheit nimmt Friedrichshafen eine Vorreiterrolle ein. Im städtischen Klinikum wird derzeit das bundesweit erste Telemedizinprojekt zur Betreuung chronisch Herzkranker durchgeführt. 23 Patienten nehmen an der Pilotierung teil. Statt in die Klinik zu fahren, messen sie täglich zu Hause Gewicht und Blutdruck und geben die Werte mittels Funk an das Krankenhaus. Die weitergeleiteten Daten werden im Klinikum umgehend ausgewertet. Das spart sowohl Zeit für Patient und Arzt und dadurch Behandlungskosten ein. Zudem gewährleistet es dem Erkrankten rund um die Uhr Sicherheit. Als bundesweit erster kleinerer Region steht in Friedrichshafen seit Dezember 2009 außerdem die neue einheitliche Behördennummer 115 zur Verfügung. Wer telefonisch eine Behörde erreichen möchte, wählt seitdem diese eine Rufnummer. Entweder wird das Anliegen direkt beantwortet oder der Nachfragende umgehend an die zuständige Stelle weitergeleitet. Die einheitliche Behördenrufnummer ist in anderen Staaten ebenfalls bereits im Einsatz. In den USA existiert seit Mitte der 1990er-Jahre die Rufnummer 311. Das System hat sich seitdem auch unter großem Ansturm bewährt, wie das Beispiel New York City veranschaulicht. In Frankreich wiederum erreicht man unter der Rufnummer 3939 den Service Public France. Die Stadt Hamburg, die ebenfalls eine auf zwei Jahre angelegte Pilotierung durchführt, hat ermittelt, dass ihre Mitarbeiter innerhalb des ersten Jahres nach Einführung der einheitlichen Behördenrufnummer um rund 750 000 Arbeitsminuten, also umgerechnet 520 Tage, entlastet wurden.

Einbeziehung der Bürgerinnen und Bürger

Eines der wesentlichen Projektziele in Friedrichshafen ist die Steigerung der Standort und Lebensqualität. Wichtiger Bestandteil ist daher die Vermittlung der Projektinhalte an die Friedrichshafener Bürgerinnen und Bürger. Im Juni 2009 wurden hierzu neun „Zukünftler“-Haushalte ausgewählt. Bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass unterschiedliche Alters- und Berufsgruppen vertreten sind. Die Zukünftler dürfen ein Jahr lang kostenlos modernste Informations- und Kommunikationstechnologien sowie T-City-Projekte in den eigenen vier Wänden testen. Für die Telekom ergebe sich somit die wertvolle Möglichkeit, von den Nutzern ein ausführliches Feedback zu den Produkten zu erhalten, sagte Ferdinand Tempel, Leiter der T-City Repräsentanz in Friedrichshafen, im Rahmen einer Podiumsdiskussion des Netzwerktages mit Vertretern aus Verwaltung, Stadt und Wissenschaft. Das ermögliche wiederum eine auf die Bürger zugeschnittene Weiterentwicklung der Angebote. „Seitdem ich über die Technologien verfüge, merke ich, wie viel Spaß es macht, diese im Alltag zu nutzen, und wie vieles dadurch schneller und einfacher funktioniert“, erklärte Pensionär Klaus Vogt, einer der Zukünftler. Vor einiger Zeit gründete Vogt den Verein „Senioren Internet Treff Friedrichshafen“, der älteren Menschen in regelmäßig stattfindenden Treffen mit großem Erfolg den Umgang mit den neuen Medien näher bringt. Auch die anderen Zukünftler sind vom Nutzen der Technologien überzeugt. Man könne unmittelbar erheblich Zeit und langfristig auch eine Menge an Kosten einsparen, berichteten die Zukünftler innerhalb der offenen Diskussionsrunde. Um die Informationen rund um die Fortschritte der T-City auch der breiten Bevölkerung zugänglich zu machen, stehen seit kurzem 24 Bürger aus Friedrichshafen und Umgebung als Auskunftsgeber zur Verfügung: Jeder Botschafter ist auf eines der sechs Projektfelder spezialisiert. Dazu gehören die Bereiche „Lernen und Forschen“, „Mobilität und Verkehr“, „Tourismus und Kultur“, „Bürger, Stadt und Staat“, „Wirtschaft und Arbeit“ sowie „Gesundheit und Betreuung“. Aufgabe der Botschafter ist es, ihre Begeisterung für das Projekt mit anderen Bewohnern der Stadt zu teilen, ihren Mitbürgern die T-City-Idee zu vermitteln und sie zur Mitarbeit zu animieren. Beispielsweise bieten die Botschafter einmal wöchentlich spezielle T-City-Sprechstunden an, die auf rege Zustimmung stoßen. Erlebbar wurden die Projekte auf dem zweiten Netzwerktag mithilfe des Zukünftler-Wohnzimmers, das den Teilnehmern zur Besichtigung und Erprobung zur Verfügung stand. „An diesem Messestand zeigen wir den Leuten anhand von Praxisbeispielen, wie moderne IT- und Kommunikationslösungen den Alltag in den eigenen vier Wänden, aber auch im Büro oder unterwegs verändern können“, berichtete Michael Lovecchio, T-City-Botschafter und zuständig für die Technikinstallationen in den Zukünftler-Wohnzimmern. Ein Schwerpunkt sei das so genannte HomeNetwork 2.0, mit dem sich vom Fernseher bis zur Kaffeemaschine alle Elektronikgeräte von jedem Ort im Haus, aber auch von unterwegs aus, steuern lassen. Auch andere T-City-Projekte wurden präsentiert, wie die innovativen Smart Metering-Technologien oder die vielseitigen Funktionen des neuen I-Pad von Apple, das im Rahmen des HomeNetwork 2.0 sämtliche Funktionen im Haus wie etwa die Lichtregulierung fernsteuern kann. „Wir gehen damit den entscheidenden Weg in Richtung Intelligente Häuser – den so genannten Smart Homes“, sagte Lovecchio.

Innovation durch Kooperation

Für andere Städte und Gemeinden ist die einzigartige Projektzusammenarbeit zwischen der Stadt Friedrichshafen und der Deutschen Telekom AG von besonderem Interesse. Eine Kooperation einer Stadtverwaltung und eines Konzerns, deren Größe und Zusammensetzung sich erheblich unterscheiden, deren Arbeitsprozesse unterschiedlich ablaufen und deren Zielsetzungen in Teilen voneinander abweichen, kann demnach gelingen. „Mittlerweile haben wir die nötigen Strukturen für eine gute Kooperation geschaffen“, berichtete Stephan Althoff von der Deutschen Telekom. Es habe allerdings einige Zeit gedauert bis man zu diesem guten Miteinander gefunden hätte. „Am Anfang war die Kommunikation weniger intensiv als heute“, resümierte auch der Oberbürgermeister von Friedrichshafen, Andreas Brand. „Rückblickend hätten wir früher ein effizientes ‚team-building’ betreiben müssen und die Kontakte frühzeitig intensivieren sollen“, so Althoff. Berücksichtigen müsse man dennoch, dass ein solch einzigartiges und umfassendes Projekt eine gewisse Anlaufzeit brauche. Ingesamt sei bisher viel umgesetzt und angestoßen worden, zog Brand eine erste Bilanz. Bereits jetzt habe sich viel in Friedrichshafen geändert, nicht zuletzt in den Köpfen der Menschen. Insbesondere für die Themen Energie und Gesundheit habe man gemeinsam schon viel erreicht, bekräftige Althoff. Auch der Blick in die Zukunft ist optimistisch. Man wolle nun versuchen, die Bevölkerung noch mehr in das Projekt mit einzubeziehen, um die T-City weiter in der städtischen Bevölkerung zu verankern, resümierten Althoff und Brand.

Verbreitung in die Fläche

Im Rahmen einer Podiumsdiskussion wurde der Blick über Friedrichshafen hinaus auf E-Government-Prozesse in weiteren Kommunen gerichtet. Wie kommen wir zu einem realistischen aber gleichzeitig leistungsfähigen E-Government in der Verwaltung? Kann es bei allem Wettbewerb um beste Lösungen einen Minimalstandard für alle Kommunen geben? Wie können Kommunen besser voneinander lernen? Im Saarland etwa sind seit 2004 alle 63 Städte und Gemeinden Mitglieder von „eGo-Saar“, dem Zweckverband Elektronische Verwaltung für Saarländische Kommunen. Diese Form der interkommunalen Kooperation soll zu einer flächendeckenden Ausbreitung von IuK-Technologien führen. „Wir bündeln die Kompetenzen, um schnellere Effekte im IT-Ausbau erzielen zu können“, sagte Werner Laub, Bürgermeister von Marpingen und Verbandsvorsitzender von eGo-Saar. Norbert Kastner, Oberbürgermeister der Stadt Coburg, berichtete von gelungenen und sogar preisgekrönten Praxisbeispielen aus seiner Stadt, wie etwa dem Digitalen Stadtgedächtnis. Coburg verfügt seit mehreren Jahren über eine eigene E-Government- Stabsstelle, die derzeit einen personellen Ausbau erfahren würde, berichtete Kastner. „E-Government lebt durch seinen Nutzen für die Bürger. Diese Prozesse aktiv umzusetzen, auszubauen und in die Fläche zu verbreiten, ist eine der wesentlichen Zukunftsaufgaben für Kommunen.“ Es sei mittlerweile für jede Kommune unerlässlich den E-Government- Ausbau voranzutreiben. „Gerade in der Finanz- und Wirtschaftskrise kann die Modernisierung der Verwaltung enorme Chancen eröffnen“, sagte Franz-Reinhard Habbel, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebundes (DStGB), zum Abschluss der Tagung. Die Dynamik in Friedrichshafen würde wichtige Impulse in diesem Bereich setzen. Es seien nun nicht mehr nur die Erinnerungen an Zeppelin und Dornier, die in Friedrichshafen präsent seien, sondern auch die Erfahrungen um das gelungene und wegweisende Zukunftsprojekt T-City. „Zeppelin 2.0“ sei nun das treffende Schlagwort, resümierte Habbel. „Im Internetzeitalter sind es eben nicht mehr nur die großen Pioniere, die Wirtschaft und Gesellschaft verändern können, sondern jeder Einzelne oder eben eine ganze Stadt. Der Weg für die Bürgergesellschaft ist damit geebnet.“

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