Grundlegende Reformen anpacken - Vom Vater Staat zum Bürgerstaat

Dr. Gerd Landsberg, DStGB

Herr Landsberg, heute beginnt der deutsche Kommunalkongress. Was sagen die 500 Bürgermeister der Kanzlerin, die morgen zu ihnen spricht?

Ja, es stimmt: Deutschland geht es gut. Es hat die niedrigste Arbeitslosenquote in Europa, mit 41 Millionen Personen die höchste Beschäftigungsquote aller Zeiten und bisher noch sprudelnde Steuerquellen. Aber die Situation der Städte und Gemeinden ist in vielen Teilen Deutschlands weiter dramatisch. Nach wie vor steigen die kommunalen Ausgaben immer schneller als die Einnahmen. So haben die Sozialausgaben im Jahre 2012 erstmals die 45-Milliarden-Euro- Grenze erreicht.

Schlagloch an Schlagloch, marode Schulen...

Allerdings. Bei Schulen, Straßen und öffentlichen Gebäuden wird seit Jahren eher geflickt als grundlegend renoviert. Die staatliche Förderbank KfW beziffert den Investitionsrückstand in den Kommunen auf 128 Milliarden Euro. Das muss alle alarmieren. Eine Investitionsoffensive ist dringend notwendig. Denn die zerfallende Infrastruktur wird zur Gefahr für den Standort Deutschland. Gleichzeitig wächst die Erwartung der Bürger, die gute Schulen, mehr Ganztagsbetreuung, mehr Polizisten und einen besseren Bus- und Bahnverkehr erwarten. Deswegen ist es jetzt Zeit, grundlegende Reformen anzupacken: weg vom Vater Staat zum Bürgerstaat.

Was wollen Sie konkret?

Nach wie vor ist die Staatsverschuldung mit über zwei Billionen Euro bei Bund, Ländern und Gemeinden eine Extremherausforderung. Mit einer Agenda 2020 sollten wir das Dickicht der sozialen Leistungssysteme reformieren, eine stärkere Orientierung an der Bedürftigkeit der Betroffenen sicherstellen und Entbürokratisierung endlich umsetzen. Ziel ist die Einnahmenverbesserung für die Städte und Gemeinden, Ausgabenreduzierung sowie mehr Eigenverantwortung und mehr Eigenvorsorge für die Bürger. Insbesondere muss der Bund die Kommunen bei der Eingliederungshilfe für Behinderte – das sind jährliche Kosten von 14,4 Milliarden – entlasten. Diese Leistungen gehören in ein Bundesleistungsgesetz.

Grüne und SPD wollen durch eine Vermögensabgabe bzw. eine Vermögensteuer Geld für Investitionen erwirtschaften...

Wir warnen vor dem Irrglauben, man könnte die desolate Haushaltssituation der öffentlichen Hand durch die Einführung von neuen Steuern wie der Vermögensabgabe oder der Vermögensteuer beseitigen. Diesen Projekten sind ganz enge verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Eine einmalige Vermögensabgabe – wie sie die Grünen vorschlagen – setzt nach dem Grundgesetz eine besondere dramatische Krisensituation des Staates voraus. Nur deshalb war zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg der Lastenausgleich zulässig: Deutschland lag in Trümmern, und Millionen von Flüchtlingen strömten in unser Land. Heute steht Deutschland als Exportweltmeister kurz vor der Vollbeschäftigung ganz anders da.

Und was bringt eine Vermögensteuer?

Eine Vermögensteuer, die nach dem Grundgesetz ausschließlich den Ländern zustände, würde einen riesigen, kaum zu bewältigenden Bürokratieaufwand erzeugen. Erforderlich wäre die Bewertung aller Vermögen in Deutschland einschließlich des Vermögens, das Deutsche im Ausland haben. Berechnungen gehen davon aus, dass dies 5000 Beamtenjahre erfordern würde. 5000 Beamtenjahre heißt, dass 5000 zusätzliche Beamten ein Jahr arbeiten müssten. Da sich die Vermögen verändern, müsste die Erfassung jährlich wiederholt werden. Auch die Differenzierung zwischen Privat- und Betriebsvermögen halte ich für verfassungsrechtlich problematisch.

Aber Reformen der Steuergesetze sind überfällig?

Allerdings. Richtig ist der Weg, das Steuersystem effektiver zu gestalten, Steuerschlupflöcher zu schließen und unsinnige Ausnahmen zu beseitigen. Die Reform der Umsatzsteuer ist überfällig. Wir brauchen zum Beispiel auch eine Grundsteuer, die sich mehr am tatsächlichen Wert der Grundstücke orientiert, wie es das Bundesverfassungsgericht bereits angemahnt hat.

Der Präsident des Europaparlaments nimmt an Ihrem Kongress teil. Was erwarten Sie?

Wir fordern die EU-Kommission auf, das riesige Potenzial der Städte und Gemeinden in Europa stärker zu unterstützen, politisch aufzuwerten und sich eindeutig zu einem Europa der Kommunen zu bekennen. Die Kommunen haben eine Schlüsselfunktion. Die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Südeuropa lässt die jüngere Generation zunehmend am europäischen Gesellschaftsmodell zweifeln. Der europäische Verbund der Kommunen kann hier über Städtepartnerschaften, Wirtschaftskontakte und Jugendaustausch, aber auch durch die Vermittlung von Beschäftigung für die oft gut qualifizierten Südeuropäer einen wirksamen Beitrag leisten.

Zum Schluss: Was bringt die Volkszählung?

Das muss in Ruhe analysiert werden. Nicht verständlich sind Befürchtungen, dass die Ergebnisse zu einem Wegfall von Finanzmitteln für die Kommunen führen werden. Die für die Verteilung an die Städte und Gemeinden zur Verfügung stehenden Landesmittel werden durch den Zensus nicht verringert, diese Mittel können auf der neuen Datenbasis aber gerechter verteilt werden. Zudem ist die Einwohnerzahl nicht allein Maßstab für Landeszuweisungen an die Kommunen.

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