Europa wählen und gestalten

Dr. Gerd Landsberg, DStGB

Von Dr. Gerd Landsberg, Geschäftsführendes Präsidialmitglied des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. 

Es ist auch Aufgabe der Kommunen, dies immer wieder zu verdeutlichen und sich selbst noch stärker in die Positionierung auf europäischer Ebene einzubringen. Es gibt kaum eine Gemeinderatssitzung in Deutschland, in der nicht mindestens ein Tagesordnungspunkt behandelt wird, der durch EU-Vorgaben beeinflusst wird. Umgekehrt kann die Mehrzahl der politischen Ziele in der EU nicht ohne, geschweige denn gegen die Kommunen, verwirklicht werden.
Auf EU-Ebene haben wir für die Städte und Gemeinden viel erreicht:

-    Im Vertrag von Lissabon wurde die kommunale Selbstverwaltung im Vertragstext verankert und ein Anhörungs- und Beteiligungsrecht der kommunalen Spitzenverbände etabliert.

-    Das Subsidiaritätsprinzip erfasst jetzt ausdrücklich die regionale und lokale Ebene.

-    Die Europäische Kommission muss im Einzelfall begründen, dass eine Regelung besser auf europäischer Ebene erfüllt werden kann als auf nationaler, regionaler oder lokaler Ebene.

-    Im Ausschuss der Regionen als Organ der EU sind die Kommunen mit Sitz und Stimme vertreten.

-    Auch eine Klage des Ausschusses der Regionen vor dem Europäischen Gerichtshof bei Verstößen gegen das Subsidiaritätsprinzip ist zulässig. 

Diese Instrumentarien müssen die Kommunen noch effektiver nutzen und sich insbesondere gemeinsam mit einem starken europäischen Parlament für ein Europa der Bürger, nicht der Bürokraten stark machen. Hier gilt es dafür einzutreten, dass diese die kommunale Selbstverwaltung stärkenden Grundsätze nicht nur auf dem Papier stehen, sondern auf europäischer Ebene auch gelebt werden. Wir brauchen aber auch die Bereitschaft und den Willen von Kommunalpolitikern in den Räten, aber auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern, für ein europäisches Engagement einzutreten. Das reicht von Städtepartnerschaften, über Patenschaften von Schulen, den Austausch von Verwaltungsmitarbeitern, der Förderung von Kontakten zwischen Vereinen und Wirtschaftsunternehmen bis zur Mitgliedschaft im Rat der Gemeinden und Regionen Europas (RGRE) und der Unterstützung der Europaarbeit der Spitzenverbände.

EU-Mehrwert-Check einführen

Gleichzeitig muss die EU bürgernäher und weniger bürokratisch werden. Zur Verbesserung der europäischen Gesetzgebung gehört unverzichtbar eine effektive Gesetzfolgenabschätzung, in wirtschaftlicher, finanzieller, sozialer und politischer Hinsicht sowie im Hinblick auf die tatsächliche Leistbarkeit bei der Umsetzung in den Kommunen vor Ort. Die Kostenfolgen der EU-Gesetzgebung für die Kommunen müssen auf das unverzichtbare Mindestmaß reduziert werden. Auf nationaler Ebene müssen den Kommunen die durch die Umsetzung und Verwirklichung von EU-Vorgaben entstehenden Lasten müssen vollständig im Rahmen des Konnexitätsprinzips ausgeglichen werden.
Der dichte Vorschriftendschungel auf der nationalen Ebene wird durch EU-Vorgaben noch unübersichtlicher. Der auf EU-Ebene eingeschlagene Weg des Rückbaus und der Vereinfachung des Rechts muss entschlossen und zielstrebig fortgesetzt werden. Europa sollte sich auf die Kernaufgaben konzentrieren und das Subsidiaritätsprinzip beachten. In der europäischen Gesetzgebung ist ein „Mehrwert-Check“ erforderlich, der darstellt, ob eine neue Regelung tatsächlich europaweit notwendig ist, nicht zu viel Bürokratie verursacht oder besser auf regionaler Ebene angesiedelt werden sollte. Nur so kann Europa effektiver, kostengünstiger und insbesondere bürgernäher werden.

Daseinsvorsorge respektieren

Die Erwartungen der Städte und Gemeinden an das neue Europäische Parlament, aber auch an Rat und Kommission sind hoch.
Erforderlich ist die Respektierung der örtlichen Daseinsvorsorge. Sie darf nicht durch eine Ausdehnung des Wettbewerbsrechts im Sinne des EU-Binnenmarktmodells auf die lokale Ebene ausgehebelt werden. In diesen Kontext gehört auch die interkommunale Kooperation. Sie darf nicht dadurch erschwert oder ausgeschlossen werden, dass über das EU-Recht etwa eine Mehrwertsteuerpflicht oder zusätzliche Einschränkungen aus den Vergabe- oder Arbeitnehmerüberlassungsvorschriften erzwungen werden. Hier muss die Gesetzgebung eine klare Aussage treffen: Interkommunale Zusammenarbeit ist staatliche Selbstorganisation und Aufgabenerfüllung und muss als solche umfassend respektiert und sogar gefördert werden.

Europäische Flüchtlingsstrategie erforderlich

Eine weitere wichtige Aufgabe der künftigen Europapolitik ist die Schaffung einer europäischen Strategie zur Steuerung der Flüchtlingsproblematik. Das Asylrecht, aber auch die EU-Grundfreiheiten wie das Freizügigkeitsrecht sind hohe Güter. Dennoch dürfen die Kommunen mit den damit verbundenen Folgen nicht alleine gelassen werden. Angesichts des Ausmaßes der aktuellen Flüchtlingsbewegungen ist davon auszugehen, dass sich auch künftig darunter viele Menschen befinden, die nicht selbst für den eigenen Lebensunterhalt, beziehungsweise für den ihrer Familien sorgen können. Erforderlich sind Förderfonds der EU, die den Akteuren vor Ort genügend Mittel bereitstellen. Die Mittel des Europäischen Sozialfonds sollten vielseitiger einsetzbar sein. Dies gilt in den Zielstaaten von Migranten, aber auch in deren Herkunftsländern. Die Städte und Gemeinden erwarten von der europäischen Politik die stärkere Bekämpfung der Fluchtursachen in den Herkunftsländern. 

Europäische Dimension der Energiewende beachten

Auch die Energiewende in Deutschland erfordert im Hinblick auf die sich stellenden Herausforderungen nicht rein nationale, sondern europäische Lösungen. Damit der dringend notwendige Übertragungsnetzausbau zügig vorangeht, brauchen wir eine bessere Abstimmung zwischen allen Beteiligten, sowohl national, als auch unter den europäischen Staaten. Auch die Gewährleistung von Versorgungssicherheit ist keine rein nationale Angelegenheit. Im Rahmen eines gemeinsamen EU-Binnenmarktes sollten gemeinsame Rahmenbedingungen als Basis für die Förderung erneuerbarer Energien in den Mitgliedstaaten geschaffen werden. Den Mitgliedstaaten sollte jedoch ausreichend Spielraum für die Ausgestaltung marktwirtschaftlicher Förderbedingungen bleiben. Die dezentralen Strukturen, unterschiedlichen Technologien und Ressourcen sowie Bedürfnisse müssen ausreichend Berücksichtigung finden können.

Internationale Kooperation der Kommunen fördern

Die internationale Städtepartnerschaftsarbeit braucht neue Impulse. Kommunalpartnerschaften sind einerseits die Grundlage für die Völkerverständigung im wortwörtlichen Sinne und andererseits die Basis für einen demokratisch getragenen europäischen Integrationsprozess von unten nach oben. Sie fördern über den kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Austausch hinaus eine unmittelbare Begegnung der Menschen und helfen damit, Ressentiments, die von gegenseitiger Unkenntnis und Misstrauen getragen werden, abzubauen. Damit sind Kommunalpartnerschaften ein Ort der Begegnung und der Kultivierung des politischen und gesellschaftlichen Zusammenlebens. Gerade die deutschen Kommunen haben mit großem Engagement und Einsatz das Internationale Städtepartnerschaftswesen gepflegt. Beispielhaft sei nur das deutsch-französische Partnerschaftswerk erwähnt. Zudem muss die Förderung der interregionalen und transnationalen Zusammenarbeit der Kommunen und Regionen nachhaltiger gefördert werden. Die Kommunen kritisieren, dass in der EU die Mittel für Städtepartnerschaftsförderung gekürzt werden. Wir fordern dafür einen Euro pro Unionsbürger!

Lokal handeln, aber europäisch denken!

Diese und weitere Themen wie die geplante EU-Rechnungsführung, das Beihilferecht, die Gewährleistung hoher Umweltqualitäten durch kommunale Verantwortung oder die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, werden die kommunale Europapolitik in der kommenden Mandatsperiode bestimmen.
Der Europawahlkampf ist ein guter Anlass, die enge Verknüpfung von Kommunalpolitik und Europapolitik zu verdeutlichen. Nach dem Motto: Lokal handeln, aber europäisch denken.

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