Europa entdeckt die Kommunen

Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hatte sich von Beginn an in die Arbeiten des EU-Konvents eingebracht, und zahlreiche Forderungen und Positionen formuliert, wie man den Stellenwert der Städte und Gemeinden in Europa verbessern könnte. Nachdem anfänglich die Skepsis gegenüber einer Stärkung der Kommunen in Europa groß war, konnten hier im Verlauf des Konvents doch wichtige Erfolge erzielt werden. Immerhin war und ist einer der zentralen Aufgabenstellungen des EU-Konvents, die Grundlagen für mehr Bürgernähe in Europa zu schaffen.

Aus der kommunalen Sicht sind in dem Verfassungsentwurf vor allen Dingen folgende Aspekte hervorzuheben:

1. Den Vorschlägen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und der anderen kommunalen Spitzenverbände in Europa folgend wurde die Aufnahme der Kommunen und Regionen in das Gebot der Achtung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten weiter konkretisiert. Während in dem ersten Entwurf einer Europäischen Verfassung in einer wenig konkreten Formulierung noch von den Verwaltungszuständigkeiten der lokalen Behörden die Rede war, sieht der jetzt vorgestellte Art. 5 Abs. 1 einer EU-Verfassung ausdrücklich vor, dass die nationale Identität der Mitgliedstaaten auch die regionale und lokale Selbstverwaltung beinhaltet. Dies ist überhaupt das erste Mal, dass der Begriff der „lokalen Selbstverwaltung“ in einem europäischen Gesetzestext auftaucht, während diese in Deutschland im Grundgesetz garantiert ist.

2. Ebenfalls den Vorschlägen des Deutschen Städte- und Gemeindebundes und der anderen kommunalen Spitzenverbände in Europa folgend wurden die Kommunen und Regionen auch ausdrücklich in das sog. Subsidiaritätsprinzip aufgenommen, das die Handlungszuständigkeiten der EU reguliert. Der neue Verfassungsentwurf sieht in seinem Art. 9 Abs. 3 vor, dass die europäische Ebene nur dann tätig werden soll, sofern und soweit das zu erreichende Ziel nicht besser auf der Ebene der Mitgliedstaaten, der Regionen oder der Kommunen erreicht werden kann. Eine solche Konkretisierung und Ausführung des Subsidiaritätsprinzips unter ausdrücklicher Erwähnung der Regionen und Kommunen gibt es im EU-Vertrag jetzt noch nicht.

3. Betreffend den Ausschuss der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften, dem beratenden Gremium der Regionen und Kommunen in der EU, gelangt der Europäische Verfassungsentwurf zu der Einführung eines Klagerechtes dieses Gremium vor dem Europäischen Gerichtshof bei Verletzungen des Subsidiaritätsprinzips.

4. Zukünftig sollen bei der EU-Gesetzgebung Gesetzesfolgenabschätzungsverfahren mit Blick auf die Auswirkungen auf kommunaler und regionaler Ebene durchgeführt werden. Zudem wurde das Prinzip der Konsultation und Partizipation der repräsentativen Verbände in den Entwurf der EU-Verfassung aufgenommen.

„Wir fordern die Regierungen in Europa auf, diese Ansätze zur Stärkung der Kommunen und Regionen in einem Europäischen Verfassungstext verbindliches Recht werden zu lassen“, so Dr. Landsberg weiter, „Keine demokratisch legitimierte Ebene steht in Europa dem Bürger näher, wie die kommunale Ebene – daher müssen unsere Rechte und Kompetenzen in einer EU-Verfassung endgültig anerkannt werden!“

Ansprechpartner für Rückfragen:
Uwe Zimmermann,
Stellv. Direktor des Europabüros des Deutschen Städte- und Gemeindebundes,
Tel.: 0032-2-74016-40


Anlage:

Textauszug der unmittelbar kommunalrelevanten Passagen im Entwurf einer Europäischen Verfassung im Entwurf einer Europäischen Verfassung
(Vgl. Konventsdokument CV00724de03 vom 24.05.2003)

1. Präambel der Charta der Grundrechte der Union

“Die Union trägt zur Erhaltung und zur Entwicklung dieser gemeinsamen Werte unter Achtung der Vielfalt der Kulturen und Traditionen der Völker Europas sowie der nationalen Identität der Mitgliedstaaten und der Organisation ihrer staatlichen Gewalt auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene bei.“

2. Artikel I-5 Abs. 1: Beziehungen zwischen der Union und den Mitgliedstaaten

“Die Union achtet die nationale Identität ihrer Mitgliedstaaten, die in deren grundlegender politischer und verfassungsrechtlicher Struktur einschließlich der regionalen und kommunalen Selbstverwaltung zum Ausdruck kommt.“

3. Artikel I-9 Abs. 3: Grundprinzipien

“Nach dem Subsidiaritätsprinzip wird die Union in den Bereichen, die nicht in ihre ausschließliche Zuständigkeit fallen, nur tätig, sofern die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen von den Mitgliedstaaten weder auf zentraler noch auf regionaler oder lokaler Ebene ausreichend erreicht werden können, und vielmehr wegen ihres Umfangs oder ihrer Wirkungen auf Unionsebene besser erreicht werden können.“

4. Artikel I-31 Abs.1, 2 und 4: Die beratenden Einrichtungen der Union

“Das Europäische Parlament, der Ministerrat und die Kommission werden von einem Ausschuss der Regionen sowie einem Wirtschafts- und Sozialausschuss unterstützt, die beratende Aufgaben wahrnehmen.
Der Ausschuss der Regionen setzt sich aus Vertretern der regionalen und lokalen Gebietskörperschaften zusammen, die entweder ein Mandat in einer regionalen oder lokalen Gebietskörperschaft innehaben oder gegenüber einer gewählten Versammlung politisch verantwortlich sind.
Die Mitglieder des Ausschusses der Regionen und des Wirtschafts- und Sozialausschusses sind an keine Weisungen gebunden. Sie üben ihre Tätigkeit in voller Unabhängigkeit zum allgemeinen Wohl der Union aus.“

5. Artikel I-46 Grundsatz der partizipativen Demokratie

“Die Organe der Union geben den Bürgern und den repräsentativen Verbänden in geeigneter Weise die Möglichkeit, ihre Ansichten zu allen Bereichen des Handelns der Union öffentlich bekannt zu geben und auszutauschen.
Die Organe der Union pflegen einen offenen, transparenten und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und der Zivilgesellschaft.
Um die Kohärenz und die Transparenz des Handelns der Union zu gewährleisten, führt die Kommission umfangreiche Anhörungen der Betroffenen durch.“

6. Subsidiaritätsprotokoll zur EU-Verfassung

In Ausführung von Artikel I-9 Abs.3 des Entwurfs einer EU-Verfassung soll dieser das rechtsverbindliche „Protokoll über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit“ beigefügt werden. Dies sieht aus der kommunalen Sicht vor allem vor:

„Die Kommission führt umfangreiche Anhörungen durch, bevor sie einen Gesetzgebungsakt vorschlägt. Dabei ist gegebenenfalls der regionalen und lokalen Dimension der in Betracht gezogenen Maßnahmen Rechnung zu tragen.“

Die Kommission begründet ihren Vorschlag im Hinblick auf die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit. Jeder Gesetzgebungsvorschlag sollte einen Bogen mit detaillierten Angaben enthalten, die es ermöglichen, zu beurteilen, ob die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit eingehalten wurden. Dieser Bogen sollte Angaben zu den voraussichtlichen finanziellen Auswirkungen sowie – im Fall eines Rahmengesetzes – zu den Auswirkungen auf die von den Mitgliedstaaten zu erlassenden Rechtsvorschriften enthalten, einschließlich gegebenenfalls der regionalen Rechtsvorschriften.

Die Kommission berücksichtigt dabei, dass die finanzielle Belastung und der Verwaltungsaufwand der Union, der Regierungen der Mitgliedstaaten, der regionalen und lokalen Behörden, der Wirtschaft und der Bürger so gering wie möglich gehalten werden und in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Ziel stehen müssen.


Der Gerichtshof ist für Klagen wegen Verstoßes eines Gesetzgebungsakts gegen das Subsidiaritätsprinzip zuständig,… Gemäß dem genannten Verfassungsartikel können entsprechende Klagen auch vom Ausschuss der Regionen in Bezug auf Gesetzgebungsakte, für deren Annahme die Anhörung des Ausschusses der Regionen nach der Verfassung vorgeschrieben ist, erhoben werden.

Die Kommission legt dem Europäischen Rat, dem Europäischen Parlament, dem Rat und den nationalen Parlamenten der Mitgliedsstaaten jährlich einen Bericht über die Anwendung des Artikel I-9 der Verfassung vor. Dieser Jahresbericht ist auch dem Ausschuss der Regionen und dem Wirtschafts- und Sozialausschuss zuzuleiten.“

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