Geordnete Verfahren durch Flüchtlingslager in Nordafrika

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Frage: Eine Idee, die vor zehn Jahren Entsetzen ausgelöst hat und abgelehnt wurde, wieso kommt jetzt auf einmal wieder auf?

Dr. Landsberg: Die Situation hat sich ja deutlich verschärft. Wir haben Flüchtlingsströme, wie wir sie damals nicht hatten. Wir haben im letzten Jahr in Deutschland über 200.000 Asylanträge gehabt. Das wird – wenn man sich die Situation im Nahen und Mittleren Osten anschaut – nicht besser werden. Auch die Zahl der Menschen, die bei der Überfahrt ums Leben kommen oder dann gerade noch gerettet werden, hat dramatisch zugenommen. Das heißt, wir brauchen eine Europäisierung der Flüchtlingspolitik. Und wir werden nicht alle Flüchtlingsprobleme der Welt bei uns lösen können und deswegen ist diese Idee als solche sinnvoll. 

Frage: Die Lösung nein, aber die Flüchtlinge statt auf Lampedusa dann direkt in Afrika abzufangen, das verändert doch auch nichts an den grundlegenden Problemen, die dahinter stecken? 

Dr. Landsberg: Das glaube ich doch. Das kommt darauf an, wie man diese Asylzentren aufbaut. Man muss in den Herkunftsländern oder in den Nachbarländern – man wird das ja nicht in Syrien oder im Irak machen können – ein geordnetes, humanitär geschütztes Verfahren bilden, wo man dann allerdings auch Einwanderung zulässt und möglichst dort entscheidet, ja, du hast einen Asylanspruch und dich bringen wir jetzt nach Deutschland, nach Italien, wo auch immer, am besten gleich mit der Möglichkeit, auch sofort zu arbeiten. Das ist ein anderes Konzept, als das damals Otto Schily auf den Weg bringen wollte. Es geht nicht darum, abzuwehren, sondern es geht darum, ein geordnetes Verfahren aufzubauen. Ich sage auch ganz deutlich, diese Asylzentren sind nicht allein die Lösung. Das ist ein Baustein. Aber den sollte man nicht von vornherein verwerfen. 

Frage: Aber wenn man sich z. B. die Lage ansieht in Melilla, also der spanischen Enklave auf marokkanischem Boden, da ist die Lage eigentlich katastrophal. Da gibt es 6 m hohe Zäune und dahinter kampieren die Menschen und versuchen eben doch, diese Überfahrt zu schaffen. Ist es nicht das, worauf es dann hinausläuft?

Dr. Landsberg: Darauf darf es nicht hinauslaufen. Das heißt im Klartext: Die Europäische Union müsste dort richtig Geld investieren. Sie müsste verbindliche Vereinbarungen über die Standards, was Ernährung, Unterbringung, auch rechtliche Möglichkeiten angeht, mit diesen Ländern vereinbaren und das dann als Europäische Union umsetzten. Also die Zustände, die dort jetzt herrschen, sind nicht das, was wir wollen.

Frage: Jetzt kommt der Vorschlag ja eben auch vom Städte- und Gemeindebund. Sie haben eingangs gesagt, dieses Problem gab es vor 10 Jahren nicht so groß wir jetzt. Wenn man aber mal schaut, vor 20 Jahren ungefähr, da gab es 400.000 Flüchtlinge in Deutschland. Jetzt ist es nur ein Viertel dieser Zahl. Also gucken wir da nicht ein bisschen sehr kurz zurück, wenn wir diese Zahlen vergleichen?

Dr. Landsberg: Das glaube ich nicht. Der Unterschied ist, – Sie spielen an auf den Jugoslawienkonflikt – dass wir davon ausgehen konnten, diese Menschen werden in einem überschaubaren Zeitraum zurückkehren können, was ja auch geschieht und geschehen ist. Davon können wir – ehrlich gesagt – bei vielen Bürgerkriegsflüchtlingen, die jetzt aus Syrien und dem Irak kommen, nicht rechnen. Das ist alles zerstört. Dort findet eine Verfolgung in einer Brutalität statt, wie wir es eigentlich nicht gekannt haben. Insofern ist die Situation eine andere. Wir müssen uns dauerhaft darauf einstellen, nicht nur in Deutschland, auch in der Europäischen Union, dass die Flüchtlingsströme nicht ab-, sondern zunehmen. Dass die Menschen mittelfristig nicht zurück können und dass wir dafür auch eine Lösung brauchen und da sage ich ganz deutlich, die Lösung muss auch in den Herkunftsländern bzw. den Nachbarländern mit ins Auge gefasst werden. 

Frage: Aber macht es sich Deutschland da nicht ein bisschen einfacher, man schiebt das schön innerhalb Europas auf die Drittstaaten, also die, in denen die Flüchtlinge ankommen, jetzt auch noch auf die Anrainerstaaten, die eigentlichen Herkunftsländer. Hauptsache hier nicht so bei uns, ist das, was man da heraushört.

Dr. Landsberg: Das sehe ich nicht so. Zunächst einmal nimmt ja Deutschland die meisten auf und darüber müssen wir auch sprechen. Wir haben 28 EU-Staaten. Die Hälfte von diesen EU-Staaten nimmt überhaupt keine Flüchtlinge auf. Das halte ich auch für falsch. Das heißt, wir brauchen ein Verteilungsverfahren. Am Ende eines solchen Verfahrens wird Deutschland immer noch die meisten aufnehmen, das finde ich auch in Ordnung. Aber eine vernünftige Verteilung ist sicherlich notwendig und das muss kombiniert werden mit einer europäischen Flüchtlingspolitik, die eben auch diese Herkunftsländer und Nachbarstaaten erfasst, die ja schon jetzt teilweise enorm viele Menschen auch unter schwierigsten Bedingungen aufnehmen. Auch diesen müssen wir gezielter helfen. Und das nicht nur aus unserer nationalen Brille sehen.

Frage: Ohne jetzt genaue Zahlenspielerei zu betreiben. Die 100.000 sind doch weder nach absoluten noch nach relativen Zahlen die meisten in Europa.

Dr. Landsberg: Das ist richtig. Z. B. ein Großteil der Flüchtlinge ist ja auch in der Türkei, die natürlich dort unter ganz anderen und viel schlechteren Umständen leben müssen, als etwa Asylbewerber in Deutschland oder der Europäischen Union. Ich sage auch, das ist nicht die alleinige Lösung, aber es ist ein Baustein, und den sollten wir nicht außer Acht lassen, sondern eine europäische Flüchtlingspolitik vorantreiben.

Frage: Welche Akteure können Sie sich da genau vorstellen, die so eine Politik voranbringt? Sie sind da ja, ohne das abwertend zu meinen,  die kleineste Ebene und können da am wenigsten entscheiden.

Dr. Landsberg: Wir sind da zweifellos die kleinste Ebene, aber wir sind diejenigen, die ja die Flüchtlinge aufnehmen, versorgen, integrieren mit einer Vielzahl von Problemen. Das machen wir, das ist eine Pflicht, auch der Städte und Gemeinden. Das ist unzweifelhaft. Aber das ist ein Appell an die Politik und zwar an die europäische Politik. Wir haben ja im Moment keine wirkliche europäische Flüchtlingspolitik und das Problem ist so groß, dass wir genau das brauchen. Ich habe auch einmal vorgeschlagen, dass es durchaus sinnvoll wäre, wenn das Problem so groß ist, wie ja alle sagen, ob wir nicht einen Kommissar bräuchten auf der europäischen Ebene, der dies zum Schwerpunkt seiner Arbeit macht. Aus meiner Sicht ist die Flüchtlingsfrage mindestens so wichtig wie die Frage, was wird mit dem Euro.

Frage: Und welchen Beitrag könnte der Städte- und Gemeindebund dann selber oder die Städte und Gemeinden leisten zu dieser Politik?

Dr. Landsberg: Die Städte und Gemeinden sind sicherlich bereit, weiter Flüchtlinge aufzunehmen. Was wir wollen ist eine beschleunigte Integration und dass diese Menschen möglichst schnell in Arbeit kommen und zwar nicht nur in Deutschland, sondern auch in den anderen Ländern und dass man vielleicht einmal schon schaut, wer kommt wo hin. Wo werden Leute mit dieser oder jener Qualifikation gebraucht. Es ist ja nicht so, dass die Menschen, die hierher kommen, alle nichts können. Da sind durchaus hochqualifizierte Leute dabei, die wir auch brauchen. Und die sollte man auch dann dort aufnehmen und integrieren, wo sie am schnellsten einen Arbeitsplatz bekommen.

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